4 Fragen an…Simone Klein

Du bist vermutlich eine der größten Netzwerkerinnen (im positiven Sinne) der deutschen Foto-Szene, schon allein weil Du viele Jahre als Spezialistin für Fotografie in Galerien und vor allem in Auktionshäusern tätig warst. Seit 2018 bist Du als Gutachterin und Art Advisor für Fotografie tätig und hast seit zwei Jahren auch einen eigenen Ausstellungsraum in Köln. Als Du 1996 beruflich in das Feld eingestiegen bist, gab es ja so etwas wie einen „Boom“ auf dem deutschen Kunstmarkt für Fotografie. Ich habe den Eindruck, dass dieser um 2000 abgeebbt ist. Täusche ich mich oder wie würdest Du aktuell plakativ die Lage des Marktes beschreiben?

Im Prinzip kann man den letzten „Peak“ auf dem Fotografie-Kunstmarkt auf das Jahr 2014 datieren, als bei Sotheby’s in New York die Auktion „175 Masterworks to Celebrate 175 Years of Photography: Property from the Joy of Giving Something Foundation“ insgesamt 21.325.000 USD einspielte – bis dahin der Rekord überhaupt für eine reine Fotografie-Auktion. Mittlerweile liegt der Auktionsrekord bei einer einzelnen Fotografie bei 12.412.000 USD, erzielt im Mai 2022 bei Christie’s New York für einen Vintage-Print des Motivs „Le Violon d’Ingres“ (1924) von Man Ray. Um das Jahr 2000 gab es in Deutschland Fotografie-Auktionen bei Lempertz (seit 1989) und Van Ham (seit 2000) in Köln, Grisebach (seit 1999) und Bassenge (seit 2002) in Berlin und Schneider-Henn in München – also allein in Deutschland 10 Fotografie-Auktionen pro Jahr! Das goldene Zeitalter des Foto-Marktes, denn es gab Sammlerinnen und Sammler für Vintage-Fotografie und für zeitgenössische Fotografie – es war auch die Zeit, als die Becher-Schüler vermehrt im Sekundärmarkt präsent waren und die Modefotografie als Sammelgebiet populär wurde. Damals begann auch schon diese bis heute durchgängige Trennung im Markt zwischen klassischer, analoger und kleinformatiger Schwarz-weiß-Fotografie und großformatiger Farbfotografie, die eher dem Markt für Contemporary Art zugerechnet wurden.  Die Millionenpreise für „blue chip“-Künstlerinnen und Künstler wie Richard Prince, Cindy Sherman, und Andreas Gursky kamen dann in den 2010er Jahren, und auch der Aufschwung für Arbeiten von Helmut Newton, Richard Avedon und auch Man Ray.

Der großflächige Boom hat seitdem vielleicht abgeebbt, aber das Herauskristallisieren von „blue chip-artists“ und „ikonischen Motiven“ oder Serien und damit verbundenen Höchstpreisen kam in Prinzip erst nach 2000. Aktuell ist es so, dass sich der Markt für Fotografie des 19. Jahrhunderts und des klassischen 20. Jahrhunderts schwer tut – das Material wird knapp und die Sammlerschaft verjüngt sich und sammelt eher Zeitgenoss*innen, und es geht auf „Trophäenjagd“, das heißt besonders rare und kunsthistorisch interessante Stücke mit besonderer Provenienz und/oder Unikatcharakter können sehr hohe Preise erzielen. Als Einsteiger*in kann man momentan sehr gute Schnäppchen im Bereich der Vintage-Fotografie machen, und im Bereich der zeitgenössischen Fotografie findet seit wenigen Jahren eine Diversifikation statt, das finde ich spannend.

 Deine Kenntnisse umfassen ja sowohl das 19. Jahrhundert, aber auch die Moderne bis zur Gegenwart: Man möchte meinen, dass der Markt für ältere Bilder irgendwann mal an eine Grenze kommt – oder wird er vielleicht auch durch viele Fälschungen lebendig gehalten?

Das Thema Fälschungen ist ein schwieriges. Natürlich gab es spektakuläre Fälschungen vor allem im Bereich der klassischen Fotografie – Man Ray und Lewis Hine fallen mir da ein. Aber dadurch wird der Markt meiner Meinung nach nicht angetrieben, eher von Abzügen, die im Rahmen einer Sammlung auf den Markt kommen oder durch marktfrisches Material, das es ja ab und zu immer noch gibt. Aber grundsätzlich wird gutes Material des 19. und 20. Jahrhunderts immer knapper und der Markt kleiner.

Erkennst Du seit den ausgehenden 90er Jahren einen Strukturwandel in der fotografischen Praxis – etwa im Hinblick auf Materialität, Technik, neue Vertriebsmöglichkeiten und falls ja: gibt es Tendenzen, die Du für die Zukunft ablesen kannst? Wird z.B. das haptische Bild im digitalen Strudel verloren gehen?

Mit der digitalen Fotografie haben sich die Ausdrucksformen der fotografischen Praxis seit den späten 1990er Jahren enorm erweitert und natürlich auch die Möglichkeiten des Verkaufs. Als smartes Beispiel dafür gebe ich immer gern die „Square Print Sales“ von Magnum Photos an: Eine thematische Bildauswahl wird innerhalb eines begrenzten Zeitraums (5 Tage) online zum Preis von 100 USD zum Kauf angeboten, das Blattformat ist durchgehend identisch (6 x 6 in.), geprintet werden dann genau so viele Abzüge, wie sie nach Ablauf des Zeitfensters gekauft wurden. Man erhält dann einen von der Fotografin/vom Fotografen signierten oder vom Estate gestempelten Abzug.

Was die Technik angeht, so haben Fotograf*innen mittlerweile ja die Wahl zwischen analogen Techniken (Cyanotypie, Fotogramm, Daguerreotypie, Kollodium-Verfahren usw.) und digitalen Verfahren, und auch die Qualität der Printtechniken hat sich extrem verbessert, so dass die Angst vor Problemen der Haltbarkeit mittlerweile nicht mehr zutreffend ist.

Es stellt sich außerdem heraus, dass virtuelle Kunst sich nicht als Sammelgebiet durchgesetzt hat. Also bleibt das Objekt für Sammler*innen von Bedeutung, egal, ob es analog oder digital entstanden ist. Die Printtechnik, die Materialität, also der Bildträger, und die Präsentation sind das, was die haptische Qualität des Kunstwerkes ausmacht. Ich finde es spannend, dass es gerade so viele Techniken und Ansätze nebeneinander gibt, und die Möglichkeiten der digitalen Fotografie haben das künstlerische Spektrum extrem erweitert.

Wer so viel sieht wie Du, wird zum Glück auch immer neue Entdeckungen machen – egal ob neu oder alt: was hat Dich in jüngster Zeit wirklich begeistert? 

Mich begeistert immer so viel – wie immer wieder die „alten Meister“: ich werde immer ein Fan der Vintage-Fotografie mit dieser gewissen Aura, die ein bestimmtes Papier ausströmt, den kleinen Erhaltungsmängeln oder den schönen Aussilberungen, dem seltenen Stempel und der besonderen Provenienz sein. Eine Ausstellung wie „Ralph Gibson – Secret of Light“ (gerade im Kunstfoyer in München) mit den wunderbaren Gelatinesilberabzügen aus den 1970er und 80er Jahren macht mir großen Spaß, oder die Sammlung von Vintage-Prints der wunderbaren Baum-und Waldstudien von Albert Renger-Patzsch aus den 1950er Jahren, die ich bewerten durfte. Aber auch großartig über 30 Jahre zusammengestellte und intelligent präsentierte Sammlungen wie die von Eva Felten (die Ausstellung „This is me, this is you“, aktuell im Museum Brandhorst in München). Aber was mich zuletzt wirklich beeindruckt hat, ist der smarte Umgang und die Integrierung von KI in der Arbeit des türkisch-amerikanischen Fotokünstlers Sarp Kerem Yavuz, dessen umfassende Ausstellung ich kürzlich in der Galerie Anna Laudel in Istanbul besucht habe…… Und zuletzt die wunderschöne Serie H2Oscapes der kanadischen Fotokünstlerin Sylvie Leblanc (geb. 1959), die ich ab November in meinem Showroom in Köln zeigen werde!

Mit bestem Dank an…

Simone Klein

…ist Art Advisor und Gutachterin für Fotografie in Köln

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